Diese Schlüsselsignale einer Depression sollten Sie alarmieren 

„In der Hausarztpraxis Depressionen zu erkennen, ist extrem schwierig", so Professor Jochen Gensichen, Mitautor der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ in einem Interview mit der Ärztezeitung.1 Denn eine typische depressive Symptomatik ist oft nicht vordergründig erkennbar. Sprache, Symptome, versteckte Botschaften – wie Sie Depressionen entschlüsseln.
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Der Depression auf der Spur: Signale richtig deuten

Hausärzte tragen eine hohe Verantwortung bei der Erfassung und Therapie depressiver Erkrankungen, da sie für die Mehrzahl der betroffenen Patienten die ersten Ansprechpartner sind.1 Allerdings stellen die Betroffenen ihre Hausärzte bei der Diagnose vor besondere Herausforderungen. Anders als bei den fachärztlichen Kollegen bringen die Patienten keine Überweisung mit, auf der die Verdachtsdiagnose schon vermerkt ist. Zudem kommen die meisten Patienten initial aufgrund körperlicher Symptome oder schildern in der Regel nur Teilaspekte ihrer Beschwerden, die sich mitunter auch als körperliche Signale äußern.1,2

Um einer Depression auf die Spur zu kommen, rät Prof. Gensichen den Hausärzten, im Gespräch mit dem Patienten „sehr genau auf die feinen Signale zu achten“.1 Zu den körperlichen oder psychosomatischen Beschwerden, die oft im Vordergrund stehen, gehören:1,3

  • Schlaflosigkeit,
  • Appetitminderung,
  • spannungsbedingte Muskelschmerzen,
  • Magendruck,
  • Engegefühl in Hals und Brust,
  • Globusgefühl,
  • Erschöpfung,
  • Schwindel,
  • subjektive Gedächtnisstörungen,
  • Libidoverlust.

Auch Sprache verrät Depression: Verbale Symptome entschlüsseln

Auch die Sprache kann wertvolle Hinweise auf die Erkrankung geben. Depressive Menschen verwenden öfter Worte, mit denen sich negative Gefühle und Stimmungen ausdrücken lassen. Bei Verdacht auf eine Depression lohnt es sich daher, genauer hinzuhören. Text-Analysen zufolge kann der häufige Gebrauch dieser Wörter auf eine Depression hindeuten:4,5

  • Adjektive wie "einsam", "traurig" oder "miserabel",
  • absolutistische Wörter wie "immer", "nie" und "total",
  • Pronomen in der ersten Person Singular:  "ich", "mein", "mir" und "mich".

Letzteres führen die Wissenschaftler darauf zurück, dass depressive Personen stark auf sich selbst fokussiert sind und ihnen häufig der Kontakt zur Außenwelt fehlt.

Maskierte Depression: Cave Komorbidität

Was die Diagnostik in der Hausarztpraxis zudem erschwert: Eine Depression kann durch körperliche Beschwerden maskiert sein oder aufgrund einer im Vordergrund stehenden somatischen Erkrankung nicht in Betracht gezogen werden.2 Zu den häufigen psychischen und somatischen Komorbiditäten gehören u. a.

  • Angst- und Panikstörungen
  • Suchterkrankungen
  • Essstörungen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • arteriosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Krebs
  • Migräne
  • Asthma bronchiale
  • Allergien
  • Ulcus pepticum
  • Diabetes mellitus
  • Infektionskrankheiten.6

„Aufmerksam werden und dann die richtigen Fragen stellen"

Auf diese Art beschreibt Prof. Gensichen, wie der Verdacht auf eine Depression erhärtet werden kann.1 Weitere Verdachtsmomente seien chronische Schmerzen, mehrere erfolglos anbehandelte Erkrankungen, "Ärztehopping" oder häufige Praxisbesuche eines Patienten aufgrund unterschiedlicher Beschwerden. Neben dem Gespür für feine Signale komme auch auf eine ausgeprägte Gesprächskompetenz an. Wenn es darum geht, per Screening eine Depression auszuschließen, seien zunächst 2 einfache Fragen erforderlich:1

  1. „Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?" 
  2. "Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?"

Die Antworten auf diese Fragen lassen nach Erfahrung von Prof. Gensichen erste Rückschlüsse darüber zu, ob der Patient an einer Depression leidet oder nicht.1 

Spricht der Patient bereits selbst einschlägige Symptome an, sollte auf die beiden Eingangsfragen verzichtet und sofort die ICD-10-Diagnosekriterien gezielt erfragt werden.7  Fragebögen wie der Patient Health Questionnaire (PHQ-9) dienen dem gezielten Screening und beinhalten alle Kriterien einer Major Depression nach DSM-V, die fast deckungsgleich mit den ICD-10-Kriterien für eine depressive Episode sind. „Er erfordert nicht viel Zeit, bildet aber viel ab", weiß Prof. Gensichen aus Erfahrung.1

Quellen:

  1. Ebert-Rall, Taina. So erkennen Hausärzte eine Depression. Ärzte Zeitung, 12.03.2013. Unter: https://www.aerztezeitung.de/Medizin/So-erkennen-Hausaerzte-eine-Depression-268109.html (abgerufen am 03.03.2021).

  2. Stenkamp K et al. Depressive Patienten beim Hausarzt. Sichtweisen und praktischer Umgang. Der Allgemeinarzt 10/2016. Unter: https://www.doctors.today/a/sichtweisen-und-praktischer-umgang-1771796 (abgerufen am 04.03.2021).

  3. Schauenburg H, Gensichen J. Wann Psychotherapie, wann Medikamente? Unter: https://www.doctors.today/a/wann-psychotherapie-wann-medikamente-1563202 (abgerufen am 09.03.2021).

  4. Al-Mosaiwi M & Johnstone T. In an Absolute State: Elevated Use of Absolutist Words Is a Marker Specific to Anxiety, Depression, and Suicidal Ideation. Clinical Psychological Science 2018; 6:529–542.

  5. Rude S et al. Language use of depressed and depression-vulnerable college students. Cognition and Emotion 2004; 18:(8):1121-1133.

  6. S3-Leitlinie und Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, 2. Auflage, November 2015, Version 5; www.leitlinien.de/nvl/depression

  7. Schneider C et al. Qualitätsindikatoren für die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Depression. QISA (Qualitätsindikatorensystem für die ambulante Versorgung) Band C6, Version 2.0; Mai 2020. Unter: https://www.aok-gesundheitspartner.de
    /imperia/md/gpp /bund/qisa/downloads/qisa_teil_c6_v2_0.pdf (abgerufen am 04.03.2021).

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