Photosensibilisierung durch Medikamente: So schützen Sie Ihre Patienten
Die Sonne am See genießen und mit Freunden schwimmen gehen. Nicht alle Patientinnen und Patienten können den Sommer unbeschwert genießen. Bestimmte Medikamente können bei ihnen unter UV-Strahlung phototoxische Reaktionen auslösen. Bei welchen Wirkstoffgruppen Vorsicht geboten ist – und wie Sie Ihre Patienten schützen können.
Sonne & Medikamente – nicht immer beste Freunde
Miriam* hat den Tag am Baggersee verbracht. Abends bemerkt sie rote Flecken auf Wangen und Ohren. Die 23-jährige Studentin ist ratlos, doch dann hat sie einen Verdacht. Sie liest in der Packungsbeilage des Antibiotikums nach, das sie aufgrund einer bakteriellen Infektion einnimmt. *fiktive Person
Sommer, Sonne, Medikamenten-induzierte Photoreaktion? So wie Miriam kann es einigen Patientinnen und Patienten in den Sommermonaten ergehen. Die Einnahme verschiedenster verschreibungspflichtiger und freiverkäuflicher Medikamente kann zu einer gesteigerten kutanen Lichtempfindlichkeit führen.1
Arzneimittelindizierte Lichtempfindlichkeit: Mehr als 300 Medikamente unter Verdacht1
Sonnenstrahlen als Risiko: Photosensibilitätsreaktionen können sich unter der Einnahme von Arzneimitteln manifestieren, wenn das Medikament oder dessen Metabolite kutan präsent sind und UV-Strahlung oder Strahlung im sichtbaren Bereich absorbieren.1 Und wie äußert sich die medikamenten-induzierte Lichtempfindlichkeit?
Klinisch lassen sich 2 Reaktionen unterscheiden:1
- Die phototoxische Reaktion (Manifestation unmittelbar nach Sonnenexposition) und
- die photoallergische Reaktion (Manifestation ≥ 24 Stunden nach Exposition).
- Einige Arzneimittel können beide Reaktion auslösen.1
- In seltenen Fällen kann eine arzneimittelbedingte Photoreaktion u. a. auch als Hyperpigmentierung, Erythema multiforme oder Onycholyse in Erscheinung treten. Zudem erhöht sie das Risiko für malignen Hautkrebs.1
Exkurs phototoxische vs. photoallergische Reaktion
Während eine Phototoxizität oft unmittelbar nach Sonneneinstrahlung (Minuten bis mehrere Stunden) auftritt und auf die sonnenexponierten Hautstellen begrenzt ist, manifestiert sich eine photoallergische Reaktion erst ein bis mehrere Tage nach der Sonnenexposition und kann auch auf andere Hautareale übergehen.1
Letzterer geht eine Sensibilisierung des Immunsystems voraus. Das eingenommene Medikament wird in der Haut durch die Sonnenstrahlung aktiviert, fungiert als Hapten bzw. Antigen und löst eine immunologische Reaktion der Typ-IV-Allergie aus. Diese manifestiert sich dann für gewöhnlich ≥ 24h nach der UV-Exposition als Ekzem.1 Die Unterscheidung der beiden Reaktionen kann differenzialdiagnostisch erfolgen, hat für die Folgebehandlung meist jedoch keine klinische Relevanz.1
Welche Medikamente lösen kutane Photoreaktionen aus?
Zur Kategorie der Substanzen mit photosensiblisierendem Potenzial zählt ein ganzes Portfolio an Arzneimitteln, u. a. Herzmedikamente, Entzündungshemmer, Medikamente für die Tumortherapie, Antiinfektiva & Antimykotika, Antidepressiva sowie viele andere Arzneimittel.1
Herz-Kreislauf Medikamente
Tabelle 1: Photosensibilisierende kardiovaskuläre Wirkstoffe, *RAAS = Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Modifiziert nach Quelle 2.
Diuretika | Acetazolamid, Bendroflumethiazid, Bumetanid, Chlorthalidon, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Indapamid, Spironolacton Torasemid, Xipamid |
RAAS*-Beeinflussung | Candesartan, Captopril, Enalapril, Fosinopril, Irbesartan Lisinopril, Losartan, Olmesartan, Quinapril, Ramipril, Telmisartan, Valsartan |
Antiarrhythmika | Amiodaron, Dronedaron |
Beta-Blocker | Carvedilol, Sotalol |
Ca"-Kanal-Antagonisten | Amlodipin, Diltiazem, Nifedipin, Verapamil |
Antihypertensiva | Methyldopa |
Antikoagulantien | Clopidogrel |
Entzündungshemmer (Antiphlogistika)
Tabelle 2: Photosensibilisierende Antiphlogistika. Modifiziert nach Quelle 2.
NSARs | Benzydamin, Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin, Ketoprofen Ketorolac, Meloxicam, Naproxen, Piroxicam, Phenylbutazon |
COX-2-Inhibitoren | Celecoxib |
Andere | Mesalazin, Sulfasalazin |
Medikamente zur Antitumortherapie
Tabelle 3: Photosensibilisierende antineoplastische Wirkstoffe. Modifiziert nach Quelle 2.
Alkylierend | Chlorambucil, Dacarbazin |
Antimetaboliten | Capecitabin, Fluorouracil, Mercaptopurin, Methotrexat, Thioguanin |
Pflanzliche Alkaloide und andere natürliche Mittel | Docetaxel, Paclitaxel, Vinblastin, |
Anthracycline | Epirubicin |
Protein Kinase Inhibitoren | Cobimetinib, Crizotinib, Dabrafenib, Dasatinib, Erlotinib, Gefitinib, Imatinib, Lapatinib, Regorafenib, Trametinib, Vandetanib, Vemurafenib |
Sexuelle Dysfunktion | Eculizumab, Nivolumab, Panitumumab, Trastuzumab |
Kardiotoxizität | Bicalutamid, Flutamid, Interferon alpha, Irinotecan, PEG interferon |
Antiinfektiva & Antimykotika
Tabelle 4: Photosensibilisierende antiinfektiöse Wirkstoffe. Modifiziert nach Quelle 2.
Fluorchinolone | Ciprotoxacin, Levotloxacin, Lometloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin |
Tetracycline | Doxycyclin, Minocyclin, Tetracyclin |
Sulfonamide | Cotrimoxazol, Sulphadiazin |
Cephalosporine | Cefazolin, Cefotaxim, Ceftazidim, |
Aminoglycoside | Gentamicin |
Antimykotika | Itraconazol, Ketoconazol, Terbinafin, Voriconazol| |
Antituberkulotika | Aminosalicylat-Natrium, Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid |
Virostatika | (Val-)Acyclovir, Amantadin, Efavirenz, Daclatasvir, (Val-) Ganciclovir, Ribavirin, Ritonavir, Simeprevir, Saquinavir |
Andere | Azithromycin, Mefloquin |
Metabolische & endokrine Medikamente
Tabelle 5: Medikamente zur Therapie metabolischer und endokriner Erkrankungen. Modifiziert nach Quelle 2.
Statine | Atorvastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin |
Fibrate | Bezafibrat, Fenofibrat |
Antidiabetika | Canagliflozin, Glimepirid, Gliquidon, Glyburid (Glibenclamid), Metformin Sitagliptin |
Protonenpumpen-Inhibitoren | Esomeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol |
Gichtmittel | Allopurinol, Colchicin, Febuxostat |
Hormone | Ethinylestradiol, Hydrocortison, Melatonin, Östrogen, Progesteron |
Antihistaminika | Cetirizin, Cyproheptadin, Diphenhydramin, Hydroxyzin, Loratadin, Ranitidin |
Thyreostatika | Propylthiouracil |
Weitere Arzneimittel
Tabelle 6: Sonstige photosensibilisierende Wirkstoffe. Modifiziert nach Quelle 2.
Anticholinergika | Glycopyrrolat, Tiotropium |
Cholinergika | Pilocarpin |
PDEs-Inhibitoren | Sildenafil, Vardenafil |
Photosensibilatoren | Aminolävulinsäure, 8-Methoxypsoralen, Verteporfin |
Interleukine | Aldesleukin |
Retinoide | Acitretin, Isotretinoin, Tretinoin |
Immunsuppressiva | Azathioprin, Interferon beta, Leflunomid, Omalizumab, Pirfenidon, Tacrolimus, Tocilizumab |
Antidote | Acetylcystein |
Vitamine | Pyridoxin |
Photosensibilisierung auch durch diverse Antidepressiva möglich
Sonne ist gut für die Psyche und sie hebt den Vitamin-D-Spiegel an. Den Sonnenstrahlen wird demnach ein positiver Effekt zugeschrieben, von dem nicht zuletzt auch Patientinnen und Patienten mit Depressionen profitieren können. Doch gerade diese Patientengruppe sollte sich besonders vor Sonnenstrahlen schützen. SSRI, SSNRI und andere synthetische antidepressive Arzneimittel sowie pflanzliche Antidepressiva wie Johanniskraut zählen zu den photosensibilisierenden Wirkstoffen und können unter erhöhter Sonneneinstrahlung kutane Photoreaktionen hervorrufen.1,2
Photosensibilisierende Antidepressiva & Medikamente aus der Kategorie Nervensystem:
Tabelle 7: Photosensibilisierende Wirkstoffe aus der Medikamentenklasse Antidepressiva & Nervensystem. Modifiziert nach Quelle 2.
Antidepressiva | Amitriptylin, Bupropion, Citalopram, Clomipramin, Duloxetin, Doxepin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Johanniskraut-Extrakt, Paroxetin, Sertralin, Tranylcypromin, Trazodon, Venlafaxin |
Antipsychotika | Chlorprothixen, Clozapin, Flupentixol, Haloperidol, Maprotilin, Olanzapin, Perphenazin, Pimozid, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon |
Antikonvulsiva/Barbiturate | Carbamazepin, Felbamat, Lamotrigin, Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure |
Triptane | Naratriptan, Sumatriptan, Zolmitriptan |
Sonstige | Acamprosat, Methylphenidat, Procyclidin, Ropinirol |
Arzneimittelbedingte Photoreaktionen unter trizyklischen Antidepressiva, SSRI & Co.
- Amitriptylin kann die Hyperpigmentierung sonnenexponierter Körperpartien begünstigen.1
- Unter Imipramin können persistente Erytheme infolge der Photosensibilisierung auftreten.1
- Clomipramin könnte laut derzeitigem Kenntnisstand die photoallergische Dermatitis begünstigen.1
- SSRI wie Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin können lichtinduzierte erythematöse Reaktionen auslösen. Citalopram kann Hyperpigmentierungen auslösen. Venlafaxin kann das Auftreten von Teleangiektasien nach Sonnenexposition begünstigen.1
- Johanniskraut-Extrakt kann ebenfalls Photoreaktionen hervorrufen.3-5
Therapiepause von Antidepressiva im Sommer? Keinesfalls!
„SSRI oder Johanniskraut-Extrakt nur im Winter?“ Ein Irrglaube, der sich hartnäckig hält. Keinesfalls sollten Patientinnen und Patienten mit Depressionen im Sommer eine Therapiepause einlegen – dies kann riskant sein6.
Die Leitlinie zur „Unipolare Depression“, rät zur 6- bis 12-monatigen Erhaltungstherapie nach der Akuttherapie – auch wenn in der Akutphase vollständige Symptomfreiheit bestand –, um ein Rezidiv zu verhindern.6 Somit umfasst die leitlinienkonforme antidepressive medikamentöse Therapie in vielen Fällen auch die Sommermonate. Demnach gibt es keinen Grund, eine Depressionstherapie mit Johanniskraut-Extrakt oder synthetischen Antidepressiva im Sommer zu unterbrechen!
Effektive Schutzmaßnahmen: 4 Tipps, um eine mögliche Lichtempfindlichkeit zu vermeiden
Suchen Sie aktiv das Patientengespräch und empfehlen Sie:
- Die richtigen Sonnenschutzmittel korrekt anwenden: Sonnenschutzmittel mit hohem UV-B und hohem UV-A-Schutz regelmäßig und in ausreichender Menge verwenden.3
- Keine ausgiebige Sonnenexposition um die Mittagszeit: zwischen 11 und 15 Uhr die Sommersonne meiden. Auch Solariumbesuche gilt es zu vermeiden.3
- An textilen Lichtschutz denken: Sonnenhüte, lange Kleidung, UV-dichte Schwimm- und Sportkleidung ist inzwischen für verschiedenste Sportarten verfügbar. 3
- UV-A Schutz auch hinter Glasscheiben, z. B. in Autos mit Scheiben ohne UV-Filter. Abhilfe können hier, wie auch in Wohnräumen, spezielle UV-A Folien schaffen.3
Quellen:
- Heck J et al. Photosensibilisierung durch Psychopharmaka und andere Arzneimittel; https://www.ppt-online.de/heftarchiv/2021/03/photosensibilisierung-durch-psychopharmaka-und-andere-arzneimittel.html
- Hofmann GA et al. The frequency of photosensitizing drug dispensings in Austria and Germany: a correlation with their photosensitizing potential based on published literature. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2020;34(3):589-600 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7065208/
- Pharmazeutische Zeitung. Photosensibilisierung: Medikamente als Auslöser. Ausgabe26/2016; https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-262018/medikamente-als-ausloeser/
- Schulz HU et al. Arzneim-Forsch/Drug Res 2006; 56(3): 212–2.
- Gulick RM et al. Phase I studies of hypericin, the active compound in St. John's Wort, as an antiretroviral agent in HIV-infected adults. AIDS Clinical Trials Group Protocols 150 and 258. Ann Intern Med. 1999;130(6):510-514.
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005; https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3
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