Medikamenteneinnahme im Sommer

Unerwünschte Hautreaktion als Nebenwirkung?

Fast die Hälfte der jährlich in Deutschland erstatteten Arzneimittelpackungen enthalten in der Fachinformation Angaben zu einer potentiellen Photosensibilität.1 Sollte der Sommer für Patientinnen und Patienten unter Pharmakotherapie also besser ausfallen? Lesen Sie hier, wie hoch das mögliche Risiko wirklich ist.

Im Jahr 2017 wurden etwa 310 Mio. potentiell photosensibilisierende Arzneimittelpackungen abgegeben.1 Den größten Anteil hatten kardiovaskuläre Medikamente (33 %) mit Wirkstoffen wie z. B. Hydrochlorothiazid und Clopidogrel gefolgt von metabolisch/endokrinologisch wirkenden Stoffen wie z. B. Metformin oder Östrogen. Für insgesamt 393 in Deutschland zugelassene Medikamente und Wirkstoffe gibt es Berichte über Photosensibilisierung.2

Die tatsächliche Inzidenz photosensibler Reaktionen ist nicht genau bekannt: Es wird angenommen, dass Photosensibilität häufig nicht erkannt und zudem selten dokumentiert wird.1

Photosensibilität: NSAR & Diuretika führen die Fallzahlen an

Am bedeutsamsten sind Substanzen mit hohen Verordnungszahlen und häufigen Berichten über photosensible Reaktionen.1 In diese Kategorie fallen mit NSAR und Diuretika 2 Substanzklassen und im Speziellen die beiden Wirkstoffe Ibuprofen und Hydrochlorothiazid, die wahrscheinlich für die meisten Fälle von Photosensibilität in Deutschland verantwortlich sind. Als weniger relevant werden Wirkstoffe mit einem hohen Photosensibilisierungspotential eingestuft, die aber seltener verschrieben werden, wie Vemurafenib, Doxycyclin oder Amiodaron.1

Wirkstoffe mit photosensibilisierendem Potential

In den folgenden Aufklappelemente finden Sie Wirkstoffe mit photosensibilisierendem Potential geordnet nach Medikamentenklassen, die sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den Jahren 2010 bis 2017 verschrieben und erstattet wurden (modifiziert nach1). In den Subklassen sind die Wirkstoffe alphabetisch geordnet.1

Kardiovaskulär

Tab. 1: Photosensibilisierende kardiovaskuläre Wirkstoffe

Diuretika Acetazolamid, Bendroflumethiazid, Bumetanid, Chlorthalidon, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Indapamid, Spironolacton Torasemid, Xipamid
RAAS*-Beeinflussung Candesartan, Captopril, Enalapril, Fosinopril, Irbesartan Lisinopril, Losartan, Olmesartan, Quinapril, Ramipril, Telmisartan, Valsartan
Antiarrhythmika Amiodaron, Dronedaron
Beta-Blocker Carvedilol, Sotalol
Ca2+-Kanal-Antagonisten Amlodipin, Diltiazem, Nifedipin, Verapamil
Antihypertensiva Methyldopa
Antikoagulantien Clopidogrel

*RAAS = Renin-Angiotensin-Aldosteron-System

Antiphlogistisch

Tab. 2: Photosensibilisierende Antiphlogistika

NSARs Benzydamin, Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin, Ketoprofen Ketorolac, Meloxicam, Naproxen, Piroxicam, Phenylbutazon
COX-2-Inhibitoren Celecoxib
Andere Mesalazin, Sulfasalazin

Antineoplastisch

Tab. 3: Photosensibilisierende antineoplastische Wirkstoffe

AlkylierendChlorambucil, Dacarbazin
AntimetabolitenCapecitabin, Fluorouracil, Mercaptopurin, Methotrexat, Thioguanin
Pflanzliche Alkaloide und andere natürliche MittelDocetaxel, Paclitaxel, Vinblastin
AnthracyclineEpirubicin
Protein Kinase InhibitorenCobimetinib, Crizotinib, Dabrafenib, Dasatinib, Erlotinib, Gefitinib, Imatinib, Lapatinib, Regorafenib, Trametinib, Vandetanib, Vemurafenib
Monoklonale AntikörperEculizumab, Nivolumab, Panitumumab, Trastuzumab
AndereBicalutamid, Flutamid, Interferon alpha, Irinotecan, PEG interferon

Antiinfektiös

Tab. 4: Photosensibilisierende antiinfektiöse Wirkstoffe

Fluorchinolone Ciprofloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin
Tetracycline Doxycyclin, Minocyclin, Tetracyclin
Sulfonamide Cotrimoxazol, Sulphadiazin
Cephalosporine Cefazolin, Cefotaxim, Ceftazidim
Aminoglycoside Gentamicin
Antimykotika Itraconazol, Ketoconazol, Terbinafin, Voriconazol
Antituberkulotika Aminosalicylat-Natrium, Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid
Virostatika (Val-)Acyclovir, Amantadin, Efavirenz, Daclatasvir, Val-)Ganciclovir, Ribavirin, Ritonavir, Simeprevir, Saquinavir
Andere Azithromycin, Mefloquin

Metabolisch/ endokrinologisch

Tab. 5: Photosensibilisierende metabolisch/ endokrinologische Wirkstoffe

Statine Atorvastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin
Fibrate Bezafibrat, Fenofibrat
Antidiabetika Canagliflozin, Glimepirid, Gliquidon, Glyburid (Glibenclamid), Metformin Sitagliptin
Protonenpumpen-Inhibitoren Esomeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol
Gichtmittel Allopurinol, Colchicin, Febuxostat
Hormone Ethinylestradiol, Hydrocortison, Melatonin, Östrogen, Progesteron
Antihistaminika Cetirizin, Cyproheptadin, Diphenhydramin, Hydroxyzin, Loratadin, Ranitidin
Thyreostatika Propylthiouracil

Sonstige

Tab. 6: Sonstige Photosensibilisierende Wirkstoffe

Anticholinergika Glycopyrrolat, Tiotropium
Cholinergika Pilocarpin
PDE5-Inhibitoren Sildenafil, Vardenafil
Photosensibilatoren Aminolävulinsäure, 8-Methoxypsoralen, Verteporfin
Interleukine Aldesleukin
Retinoide Acitretin, Isotretinoin, Tretinoin
Immunsuppressiva Azathioprin, Interferon beta, Leflunomid, Omalizumab, Pirfenidon, Tacrolimus, Tocilizumab
Antidote Acetylcystein
Vitamine Pyridoxin

Photosensibilisierung auch unter Antidepressiva?

In der Depressionsbehandlung gilt Johanniskraut-Extrakt paradoxerweise als Paradebeispiel, wenn über eine gesteigerte Lichtempfindlichkeit der Haut gesprochen wird. Dabei kann diese mögliche Nebenwirkung auch bei chemisch-synthetischen Antidepressiva wie z. B. Escitalopram, Citalopram oder Venlafaxin auftreten (siehe Tab. 7).1 Laut Fachinformationen bei Citalopram und Venlafaxin gelegentlich (1 bis 9 von 1.000 Patientinnen und Patienten).3,4 Bei Johanniskraut-Extrakt (z. B. Laif® 900) gibt es keine Häufigkeitsangaben zu dieser Nebenwirkung in der Fachinformation.5 Woher rührt also die Verbindung von Photosensibilität und Johanniskraut?

Tab. 7: Photosensibilisierende Wirkstoffe aus der Medikamentenklasse Nervensystem

AntidepressivaAmitriptylin, Bupropion, Citalopram, Clomipramin, Duloxetin, Doxepin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Johanniskraut-Extrakt, Paroxetin, Sertralin, Tranylcypromin, Trazodon, Venlafaxin
AntipsychotikaChlorprothixen, Clozapin, Flupentixol, Haloperidol, Maprotilin, Olanzapin, Perphenazin, Pimozid, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon
Antikonvulsiva/ BarbiturateCarbamazepin, Felbamat, Lamotrigin, Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure
TriptaneNaratriptan, Sumatriptan, Zolmitriptan
SonstigeAcamprosat, Methylphenidat, Procyclidin, Ropinirol

Überschätzte Nebenwirkung von Johanniskraut

Dass Johanniskraut häufig mit Photosensibilisierung in Verbindung gebracht wird, beruhte ursprünglich nicht auf Beobachtungen beim Menschen, sondern dem sogenannten Hypericismus bei Weidetieren – einer krankhaft gesteigerten Empfindlichkeit der Haut gegenüber Sonnenlicht nach dem Verzehr großer Mengen Johanniskraut.6 Der Effekt ist dem Hypericin, einem Inhaltsstoff von Johanniskraut, anzulasten. In einzelnen Humanstudien wurde reines Hypericin in sehr hohen Dosen und z. T. sogar intravenös eingesetzt – beispielsweise bei HIV-Patientinnen und -Patienten, um seine antivirale Wirkung zu nutzen. Hier kam es unter Sonneneinwirkung zu einer deutlich gesteigerten Lichtempfindlichkeit.7

Wird Johanniskraut in therapeutischer Dosierung zur Depressionsbehandlung eingesetzt, ist die enthaltene Hypericin-Menge in der Regel zu gering, um eine entsprechende Reaktion hervorzurufen.6 Dies wird auch von einer Studie mit 20 gesunden männlichen Probanden gestützt: Im Ergebnis konnte hinsichtlich der Lichtempfindlichkeit (minimale Erythem-Dosis) keine statistische Differenz zwischen Baseline und nach 14-tägiger Medikation festgestellt werden.8

Depressions-Therapie im Sommer nicht unterbrechen!

Um das Risiko für Rezidive zu senken, empfiehlt die Leitlinie „Unipolare Depression“, eine 4–9-monatige Erhaltungstherapie an die Akuttherapie anzuschließen – auch wenn sich keine depressiven Symptome mehr zeigen.9 Somit umfasst die leitlinienkonforme Depressions-Therapie in den meisten Fällen auch die Sommermonate. Auch unabhängig von einer Medikamenteneinnahme sollte im Sommer eine verantwortungsbewusste Sonnenexposition angeraten sein.

Folgende einfache Grundregeln sind zu beachten:

  • Ausgiebige Sonnenexposition, insbesondere um die Mittagszeit, vermeiden.
  • Sonnenschutzmittel mit hohem UV-B und UV-A-Schutz verwenden.
  • An textilen Lichtschutz denken.

Quellen:

  1. Hofmann GA et al. The frequency of photosensitizing drug dispensings in Austria and Germany: a correlation with their photosensitizing potential based on published literature. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2020;34(3):589-600.

  2. Hofmann GA, Weber B. J Dtsch Dermatol Ges. 2021;19(1):19-30.

  3. Fachinformation Cipralex®, Stand November 2020.

  4. Fachinformation Hartkapseln Trevilor®, Stand August 2021.

  5. Fachinformation Laif®900. Stand September 2020.

  6. Pharmazeutische Zeitung. Photosensibilisierung: Medikamente als Auslöser. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-262018/medikamente-als-ausloeser/ (abgerufen am 09.05.2022).

  7. Gulick RM et al. Phase I studies of hypericin, the active compound in St. John's Wort, as an antiretroviral agent in HIV-infected adults. AIDS Clinical Trials Group Protocols 150 and 258. Ann Intern Med. 1999;130(6):510-514.

  8. Schulz HU et al. Arzneim-Forsch/Drug Res 2006; 56(3): 212–2.

  9. DGPPN et al. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie, Unipolare Depression, 2. Auflage Version 1. Stand 2017. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/d53e5967ade4134e444e71973752e10bcaebda79/S3-NVL_depression-2aufl-vers1-kurz.pdf (abgerufen am 25.04.2022).

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