Antidepressiva: Nebenwirkungen erwünscht?

Eine umfassende Meta-Analyse zeigte: Antidepressiva unterscheiden sich kaum in ihrer Wirksamkeit, jedoch variiert ihr Nebenwirkungsprofil.1  So kann z. B. eine sedierende Nebenwirkung durchaus erwünscht sein, um den Schlaf zu fördern. Einen Überblick über diese und weitere (un)erwünschte Nebenwirkungen, finden Sie hier.

Erwünschter Nebeneffekt? Beispiel sedierend vs. nicht sedierend

Eine umfassende Meta-Analyse mit 522 Studien und 116.477 Patientinnen und Patienten verglich die Wirksamkeit von Antidepressiva zur Behandlung akut-depressiver Episoden.1 Laut der Analyse waren alle untersuchten Wirkstoffe gegenüber Placebo überlegen.1 Zwischen den verschiedenen Antidepressiva gab es kaum Wirksamkeitsunterschiede“, so Prof. Hans-Peter Volz, Neurologe und Psychiater (Würzburg).

Da sich Antidepressiva jedoch im Nebenwirkungsspektrum unterscheiden, ist eine zentrale Frage bei der initialen Therapieentscheidung: Kommt das Nebenwirkungsprofil meiner Patientin bzw. meinem Patienten mit depressiver Symptomatik zugute oder steht es ihm eher im Wege?

Insbesondere Wirkstoffe mit sedierenden Eigenschaften können im Einzelfall sinnvoll sein. Bei Patientinnen und Patienten, die im Zusammenhang mit einer leichten depressiven Störung unter Schlafstörungen leiden, kann laut S3-Leitlinie z. B. ein Antidepressivum mit sedierender Wirkung eine Option sein – nebst Schulungen zur Schlafhygiene als weitere Säule der Therapie.2 Nicht-sedierende Antidepressiva und antriebssteigernde Wirkstoffe können z. B. sinnvoll sein, wenn Patienten beruflich gefordert sind und aufmerksam sein müssen.

Auch andere Begleitwirkungen können im Einzelfall nützlich sein, wie z. B. eine Antriebssteigerung oder Schmerzdistanzierung (s. Tabelle 1).

Auswahl des Antidepressivums

Laut Prof. Volz sollte man basierend auf der vorherrschenden Symptomatik zunächst danach gehen, ob ein Wirkstoff mit sedierenden oder nicht-sedierenden Eigenschaften angezeigt ist. Er empfiehlt, sich für die Basistherapie je 1 Antidepressivum auszusuchen. Escitalopram (nicht-sedierend) und Mirtazapin (sedierend) seien laut Volz 2 Wirkstoffe, mit denen man in der Regel gut einsteigen könne.3

Die praktische Erfahrung zeige jedoch, dass etwa 1/3 der Patientinnen und Patienten nicht auf die initial verordnete Therapie ansprechen. In diesen Fällen sind Alternativen gefragt – neben einer Psychotherapie kommt auch der Wechsel auf einen anderen Wirkstoff in Frage:

Sedierende Antidepressiva4

  • Amitriptylin
  • Amitriptylinoxid
  • Doxepin 
  • Maprotilin
  • Mianserin
  • Mirtazapin
  • Trazodon
  • Trimipramin
     

Nicht-sedierende Antidepressiva4,8

  • Amitriptylin
  • Bupropion
  • Citalopram
  • Clomipramin
  • Desvenlafaxin
  • Duloxetin
  • Escitalopram
  • Fluoxetin
  • Fluvoxamin
  • Imipramin
  • Johanniskraut
  • Milnacipran
  • Moclobemid
  • Nortriptylin
  • Paroxetin
  • Reboxetin
  • Tianeptin
  • Tranylcypromin
  • Venlafaxin


Schlafregulierend

  • Agomelatin

Benzodiazepine und Z-Substanzen zurückhaltend einsetzen!

Die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ weist darauf hin, dass Benzodiazepine zwar effektive und schnell wirksame Medikamente bei Schlafstörungen sind, diese bei leichten depressiven Episoden aber NICHT eingesetzt werden sollen, bei mittelschweren depressiven Episoden nur im begründeten Einzelfall zusätzlich zu Antidepressiva oder Psychotherapie. Diese Empfehlung berührt nicht die Indikation für Benzodiazepine bei Komorbidität oder in Notfällen.2 

Nebenwirkungen, die schaden können oder dem Therapieerfolg im Weg stehen

Neben ihrer Einteilung in sedierend vs. nicht-sedierend sollten Antidepressiva patientenindividuell – basierend auf Vorerkrankungen und individuellen Wünschen – auch anhand anderer Nebenwirkungen beurteilt werden. Betroffene haben oft klare Vorstellungen davon, welche Nebenwirkungen sie tolerieren, und welche nicht. Dies vorab abzuklären kann entscheidend für die Compliance im Behandlungsverlauf sein.5

Ein paar Beispiele, woran Sie hier denken sollten:

  • Gewichtszunahme: Einige Antidepressiva, darunter Mirtazapin und Amitriptylin, können zu einer teils erheblichen Steigerung des Körpergewichts führen. Dies gehört zu den Nebenwirkungen, die Viele nicht bereit sind, auf sich zu nehmen.4,5 Aber auch unter dem Aspekt von Komorbiditäten wie Diabetes mellitus sind diese Wirkstoffe ungeeignet.6
  • Sexuelle Dysfunktion: Sie kann bei vielen Patientinnen und Patienten ebenfalls Grund für das Absetzen der Medikation sein. Insbesondere SSRI können zu sexuellen Funktionsstörungen führen – eine Wirkstoffgruppe, die ansonsten als gut verträglich gilt.4,5 
  • Kardiale Risiken: Eine spezielle Gruppe stellen Herzpatienten dar. Hier ist insbesondere bei trizyklischen Antidepressiva Vorsicht geboten. Sie verlangsamen die Erregungsleitfähigkeit und führen so zu einer Verlängerung der PQ-, QRS- und QTc-Zeit.7 Aber auch bei Citalopram und Escitalopram wird vor einer QT-Zeit-Verlängerung gewarnt.2
  • Anticholinerge Nebenwirkungen: Sie treten unter Trizyklika auf, z. B. Mundtrockenheit, Obstipation oder verminderter Tränenfluss gehören ebenfalls zu den besonders unangenehmen Erscheinungen und können zudem das Risiko für delirante Syndrome erhöhen. Daher sind sie bei Älteren, höheren Dosierungen und in Kombination mit anderen anticholinergen Medikationen zu vermeiden. Auch unter SSRI (außer Citalopram/Escitalopram) kann es zu diesen anticholinergen Erscheinungen kommen, wenn auch seltener.5
     

Tabelle 1 Begleiteffekte von Antidepressiva und geeignete Alternativen.

Tabelle 1: Auswahl von Antidepressiva anhand von Nebenwirkungen (modifiziert nach 4,8

Mögliche (un)erwünschte BegleiteffekteAntidepressiva mit entsprechendem BegleiteffektAntidepressiva ohne entsprechenden Begleiteffekt
AntriebssteigerungMAO-Hemmer, Nortriptylin, Milnacipran, Bupropion, Johanniskraut-ExtraktAmitriptylin, Doxepin, Trimipramin, Mirtazapin 
SchlafförderungAmitriptylin, Doxepin, Trimipramin, Mirtazapin, Agomelatin (schlafregulierend)Bupropion, MAO-Hemmer
SchmerzdistanzierungDuloxetin, Amitriptylin, Clomipramin, VenlafaxinSSRI
GewichtszunahmeMirtazapin, AmitritptylinSSRI, Bupropion, Moclobemid, Johanniskraut-Extrakt 
BlutdruckerhöhungSSNRI, Tranylcypromin SSRI, TZA, Johanniskraut-Extrakt
Sexuelle DysfunktionSSRI, Venlafaxin, DuloxetinReboxetin, Johanniskraut-Extrakt, Agomelatin, Moclobemid, Bupropion
KardiotoxizitätTZASertralin, Nortriptylin, Johanniskraut-Extrakt
KrampfschwellensenkungBupropion, MaprotilinSSRI

MAO-Hemmer = Monoaminoxidase-Hemmer, SSNRI = selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, TZA = trizyklische Antidepressiva

Arzneimittelsicherheit: Die Wechselwirkungen im Blick

Nicht zuletzt sollten Sie prüfen, ob mögliche Arzneimittelwechselwirkungen einer Therapie im Wege stehen könnten. Antidepressiva werden über unterschiedliche Cytochrom-P450-Isoenzyme im Dünndarm und in der Leber verstoffwechselt. Die meisten Wirkstoffe beeinflussen die Aktivität von einem oder mehrere CYP-Enzymen und können so zu Veränderungen des Plasmaspiegels anderer Wirkstoffe führen.3

Quellen:

  1. Cipriani A et al. Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet. 2018;391(10128):1357-1366.
  2. Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3 (abgerufen am 28.09.2023).
  3. Volz H-P. Depression – Diagnose und Therapie. Medical Tribune CME Fortbildung. Unter: https://medical-tribune.de/ecme-depression
  4. Schmauß M. Therapietabellen Psychiatrie, 5. Auflage. 2023
  5. Hiller G, Voderholzer U. Nebenwirkungen von Antidepressiva. Psychiatrie und Psychotherapie up2date. 2012;6(03):149-164.
  6. Holt RI et al. Diabetes and depression. Curr Diab Rep. 2014;14(6):491.
  7. Vorderholzer UH, Fritz. Therapie psychischer Erkrankugnen. State of the Art. 16. Auflage, Elsevier 2021.2020.
  8. Fachinformation Laif®900. Stand September 2020.

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