Antidepressiva: Antworten auf 5 entscheidende Fragen
Zur Therapie von leichten und mittelschweren depressiven Erkrankungen stehen verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung. Doch wie die geeignete antidepressive Therapie für Betroffene finden? 5 Fragen und Antworten, die Ihnen die leitlinienbasierte Therapieentscheidung erleichtern und Hilfestellung bei der Auswahl des Antidepressivums geben.1,2
1. Besteht eine klare Indikation für eine medikamentöse antidepressive Therapie? Oder gibt es gleichwertige Alternativen wie z. B. sofortige Psychotherapie oder Lichttherapie?
Bei leichtgradigen depressiven Episoden rät die nationale Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression bevorzugt zu schnell zugänglichen niedrigintensiven Interventionen, wie Internet- & mobilbasierten Interventionen (DiGA-Verzeichnis (bfarm.de), Psychoedukation und angeleiteter Selbsthilfe. Hierbei soll die Stärkung der Selbstmanagementfähigkeiten, Bewältigungsstrategien und der Resilienz im Fokus stehen. Besteht die Symptomatik weiterhin oder ist ein Chronifizierungsrisiko gegeben, kann eine Psychotherapie angeboten werden und ggf. nachrangig ein Antidepressivum.1,2
Antidepressiva sollten bei leichten depressiven Symptomatiken lediglich im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes und nach besonders kritischer Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses angeboten werden, sofern:1
- Betroffene nach bereits erfolgter niedrigintensiver Intervention weiterhin depressive Symptome haben und/oder
- sie während einer früheren depressiven Episode gut auf die Behandlung mit einem Antidepressivum angesprochen haben und/oder
- ein Chronifizierungsrisiko besteht, oder das Risiko für die Manifestation einer mittelgradigen bis schweren Depression gegeben ist (z. B. depressive Episode in der Vergangenheit, ungünstige psychosoziale Risikokonstellation) und/oder
- trotz niedrigintensiver oder psychotherapeutischer Intervention bei ihnen kein Ansprechen erreicht wurde oder die Interventionen abgelehnt wurden.
Bei mittelgradigen depressiven Episoden soll Betroffenen gleichwertig eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie offeriert werden. Zusätzliche Internet- und mobilbasierte Interventionen, z. B. per App und Psychoedukation können sinnvoll sein.1,2
Bei akuten schweren depressiven Episoden wird bevorzugt eine Kombinationsbehandlung aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie empfohlen, sowie Psychoeduktion.1,2
2. Liegen Kontraindikationen für eine Therapie mit Antidepressiva vor?
SSRI, SNRI, TZA, MAO-Hemmer, Johanniskraut-Extrakte & Co. – die Bandbreite antidepressiver Wirkstoffe ist groß, wenn eine medikamentöse Behandlung bei Depressionen angezeigt ist. Das Leitlinienkomitee weist auf substanzspezifische Kontraindikationen hin.
- SSRI wie Citalopram, Fluoxetin, Sertralin und SSNRI wie Venlafaxin, Duloxetin sind u. a. bei bestehender QT-Zeit-Verlängerung oder erhöhter Blutungsneigung kontraindiziert.1
- Bei schwerer Leberfunktionsstörung und Leberinsuffizienz besteht eine Kontraindikation für Venlafaxin, Duloxetin, Agomelatin und den MAO-Hemmer Tranylcypromin. Letzterer darf zudem nicht eingesetzt werden bei schwerer Hypertonie, Phäochromozytom und Ruptur-gefährdeten Aneurysmen. 1
- Liegen schwere Störungen der Leber- und Nierenfunktion vor, ist vom Einsatz der α2R-Antagonisten Mianserin und Mirtazapin Abstand zu nehmen. 1
- Bei Epilepsie und schwerer Hypertonie darf Bupropion nicht verordnet werden. Tianeptin ist bei Suchterkrankungen kontraindiziert. 1
Auch bei pflanzlichen Antidepressiva (Johanniskrautextrakt) müssen Kontraindikationen beachtet werden. Johanniskraut ist z. B. bei Transplantations-, HIV- und Krebspatientinnen und -patienten, die Immunsuppressiva, Virustatika oder Zytostatika einnehmen, kontraindiziert.3 Diese Personen sind im Praxisalltag gut identifizierbar und dürften im niedergelassenen Bereich eine Minderheit abbilden.4,5 Weitere Kontraindikationen, wie z. B. Gravidität, entnehmen Sie bitte den Fachinformationen.1
3. Welche Risiken gilt es bei trizyklischen Antidepressiva zu beachten?
Trizyklische Antidepressiva (TZA) sind eine wichtige Wirkstoffklasse bei der Behandlung von Depressionen, doch für Ältere und bei Begleiterkrankungen ist ihr Einsatz nicht immer problemlos.
- Bei Herzpatientinnen und -patienten sind Trizyklika wie Amitriptylin und Clomipramin meist ungeeignet, da sie die QT-Zeit verlängern können. Auch bei Arhythmien und anderen schweren kardialen Erkrankungen sind sie kontraindiziert.1
- Amitriptylin, Clomipramin und andere TZAs dürfen keinesfalls bei Engwinkelglaukom zur Anwendung kommen, da ihre anticholinerge Wirkung den Augeninnendruck weiter erhöhen kann. Eine Kontraindiktion besteht zudem bei Harnverhalt/ Prostatahyperplasie.1
- Ileus stellt eine Risikokonstellation für die Gabe von TZA dar. Aufgrund der cholinergen Wirkung können TZA bei Demenz die kognitiven Symptome verstärken, daher besteht auch hier eine Kontraindikation.1
4. Was ist mit Blick auf die Ansprechrate und Auswahl der antidepressiven Therapie zu beachten?
Die Einnahme von Antidepressiva führt nicht immer zu einem klinischen Effekt. Die Ansprechraten werden in der Literatur mit 50–70 % angegeben.6 Das Leitlinienkomitee rät deshalb, das wirksame Antidepressivum der Akuttherapie in der Erhaltungstherapie (6-12 Monate) und ggf. auch bei der Rezidivprophylaxe beizubehalten, in gleicher Dosierung wie in der Akutphase.1
Die Ansprechrate für synthetische und pflanzliche Antidepressiva sind vergleichbar. In einer klinischen Vergleichsstudie sprechen 54,2 % der Patienten und Patientinnen mit der Diagnose mittelschwere Depression nach 6-wöchiger Behandlung auf hochdosierten Johanniskraut-Extrakt STW3-VI (Laif®900, 900 mg 1x täglich) an, und 55,9 % auf Citalopram (20 mg 1x täglich). 7
Wichtiges für die Langzeitprophylaxe
Bei mindestens 2–3 depressiven Episoden und funktionellen Einschränkungen innerhalb der letzten 5 Jahre rät das Leitlinienkomitee dazu, das Antidepressivum mindestens über 2 Jahre als Langzeitprophylaxe einzunehmen. Wichtig: Hierbei sollte die gleiche Dosierung beibehalten werden, die in der Akuttherapie wirksam war. Die Therapie mit einem Antidepressivum sollte adhärenzfördernd ausgelegt sein, weshalb bereits bei der Auswahl ein Augenmerk auf das Nebenwirkungsprofil gelegt werden sollte.1
5. Soll die Behandlung ambulant oder stationär erfolgen?
Ob die Behandlung von Depressionen ambulant im Rahmen der hausärztlichen/fachärztlichen Versorgung oder teilstationär erfolgt, ist laut der S3-Leitlinie “Unipolare Depression” eine partizipierte Entscheidung. Viele Patientinnen und Patienten mit Depressionen ziehen eine ambulante Therapie der stationären Behandlung vor.1
Beim Vorliegen einer Notfallindikation wie z. B. akuter Selbst- oder Fremdgefährdung oder bei depressivem Stupor sieht das Leitlinienkomitee eine stationäre Behandlung jedoch als unverzichtbar an. Weitere Gründe für die stationäre Einweisung können u. a. Nichtabschätzbarkeit der Suizidalität oder eine suizidale Gefährdung trotz initialer Behandlung sein. Auch Therapieresistenz gegenüber der ambulanten Therapie, eine drohende depressionsbedingte Isolation oder ausgeprägte psychotische Symptome können eine stationäre Behandlung erforderlich machen.1
Quellen:
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3 (abgerufen am 10.12.2023).
- Schmauß M. Therapietabellen Psychiatrie, 5. Auflage. 2023, S. 40, Tabelle 66
- Fachinformation Laif®900, Bayer Vital, Stand September 2020
- Tippmann M. E. Arzneimittelinteraktionen im Praxisalltag. Johanniskraut-Extrakt mit Weitblick verordnen. Neuro aktuell 7/2013.
- Lantz MS et al. St. John´s wort and antidepressant drug interactions in the elderly. J Geriatr. Psychiatry Neurol. 1999 Spring;12(1):7-10.
- Gehrisch J et al. Leitliniengerechte Pharmakotherapie der Depression. Arzneiverordnung in der Praxis, Ausgabe 3, Juli 2018.
- Gastpar M et al. Comparative Efficacy and Safety of a Once-Daily Dosage of Hypericum Extract STW3-VI and Citalopram in Patients with Moderate Depression: A Double-Blind, Randomised, Multicentre, Placebo-Controlled Study. Pharmacopsychiatry 2006;39:66-75.
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