Eine Plattform für den Austausch von Informationen über psychisch kranke Täterinnen bzw. Täter soll künftig die Sicherheit in Deutschland erhöhen und gleichzeitig die Therapie bei psychischen Erkrankungen verbessern. Was genau geplant ist und wie diese Gratwanderung ohne Stigmatisierung gelingen soll, erfahren Sie hier.
Heikles Spannungsfeld zwischen Sicherheit & Patientenrechten
Im Sommer 2025 sprachen sich die Gesundheitsminister der Bundesländer bei der Gesundheitsministerkonferenz in Weimar dafür aus, verstärkt mit Sicherheitsbehörden zu kooperieren. Ein bundesweiter digitaler Datenaustausch über “gefährdete” Personen mit psychischen Erkrankungen solle ermöglicht werden.1
Anlass dieses Beschlusses war die Zunahme der Anzahl von Taten psychisch kranker Menschen, wie z. B. Mitte 2025 im Hamburger Hauptbahnhof. Dort attackierte eine junge Frau mehrere Reisende mit einem Messer – kurz zuvor war sie in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden. Das Ärzteblatt berichtete hierzu ausführlich.1,2
Doch der Beschluss zur Steigerung der Sicherheit der Gesundheitsminister wirft auch kritische Fragen auf und erfordert in der Umsetzung eine gute Balance im Spannungsfeld zwischen Bevölkerungs- und Datenschutz.1
Wie mit psychisch erkrankten Tätern umgehen?
Was ist konkret geplant? Eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Sicherheitsbehörden soll künftig dazu beitragen, Taten wie die in Hamburg zu vermeiden.1
Hilfreich könnten hierzu insbesondere eine bundeseinheitliche Plattform für Datenaustausch, eine optimierte Betreuung und Versorgung psychisch kranker Personen durch bessere Behandlungsstrukturen sowie auch eine bessere Integration und Betreuung für psychisch kranke Personen sein.1
Auch ein nationales Kompetenzzentrum für Risikobewertung mit polizeilicher und psychologischer Expertise steht zur Diskussion – neben der verpflichtenden medizinischen Überwachung, einer Medikamenteneinnahme unter Aufsicht und einer Verpflichtung zur Teilnahme an Therapieangeboten für Täterinnen und Täter.1,2
Wie Stigmatisierung psychisch kranker Menschen vermeiden?
Hinsichtlich der Stigmatisierung betonen die Ministerinnen und Minister: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht grundsätzlich gefährlicher als Personen ohne psychische Erkrankung. Nur ein sehr kleiner Teil hat ein Gefährdungs- oder Gewaltpotential, und dies meist nur in Kombination mit bestimmten psychischen Störungen und anderen Faktoren. Mit den Gesundheitsdaten solle sensibel umgegangen werden, um eine Diskriminierung zu vermeiden.1,2
Auch die Präsidentin der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Prof. Dr. med. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank teilt diese Aussage. In einem Gespräch gegenüber dem Ärzteblatt im August 2025 erläuterte sie, dass psychische Erkrankungen allein nicht das Risiko von Gewaltbereitschaft erhöhen, sondern es Wechselwirkungen mit anderen Faktoren seien, wie z. B. sozialer Isolation, Wohnungslosigkeit oder Substanzkonsum, die das Risiko für Straftaten steigern können.3
Während Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen, gegenüber dem Ärzteblatt im Sommer betonte, dass die ersten Maßnahmen bezüglich des sensiblen Informationsaustausches bereits bis Weihnachten 2025 umgesetzt werden sollen, befürwortet die DGPPN die praxisnahe Herangehensweise.1,3
Für die DGPPN ist Zugang zur Therapie die beste Prävention, um die Zahl der Straftaten durch psychisch erkrankte Täterinnen und Täter zu reduzieren. Um das Risiko von Gewalttaten zu minimieren, müsse das Gesundheitssystem Menschen mit schweren psychischen Störungen besser erreichen. Dazu gehören flächendeckende und niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeiten, die an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst sind, so die DGPPN.3
DGPPN: Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden nicht zielführend
Die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden sei laut der DGPPN-Präsidentin kein effektives Mittel zur Reduzierung des Gewaltrisikos und könne sogar negative oder gegenteilige Auswirkungen haben. Nämlich dann, wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen aufgrund von Stigmatisierungsfurcht nicht zum Arzt gehen oder sich erst spät behandeln lassen. Solche Zustände könnten das Risiko von Gewalttaten erhöhen.3
Prof. Dr. Georg Schomerus von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom Universitätsklinikum Leipzig fasst die Stigmatisierung wie folgt zusammen: Trotz offenerem Umgang mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren, sind v. a. Suchterkrankungen und Schizophrenie noch immer im negativen Kontext belegt. Helfen könne hier Anti-Stigma-Kampagnen nach der Trilogie Betroffene, Angehörige und Behandelnde sowie die frühzeitige Inanspruchnahme leicht zugänglicher Interventionsangebote.4 Somit zeichnet sich ein Weg der Behandelnden abseits einer Datenerfassung ab.3,4
Fazit:1-4
- Angesichts der zunehmenden Anzahl von Taten, die von Menschen mit psychischen Erkrankungen begangen werden, haben sich die Gesundheitsminister der Länder für eine Plattform zum Datenaustausch ausgesprochen.
- Ziel dieser Plattform soll der Austausch von Informationen über psychisch kranke Täterinnen und Täter sein, um so eine bessere Überwachung und Behandlung dieser Personen zu ermöglichen und die Sicherheit der Gesellschaft zu erhöhen.
- Hierzu sind verschiedene Maßnahmen geplant. Wie diese konkret umgesetzt werden und gleichzeitig eine Stigmatisierung psychisch Kranker vermieden werden können, ist ein sensibles Thema.
- Fachgesellschaften und Behandelnde aus der Praxis sehen hingegen die effektivste Prävention, um Gewalttaten durch psychisch Erkrankte zu vermeiden, nicht im Aufbau einer Informationsdatenbank, sondern im Ausbau von niedrigschwelligen und flächendeckenden Behandlungsmöglichkeiten und Therapieangeboten.
Quellen:
- Psychische Erkrankungen: Länderminister suchen Möglichkeiten für sensiblen Datenaustausch. Deutsches Ärzteblatt; zuletzt abgerufen am 25.09.2025 unter https://www.aerzteblatt.de/search/result/b90458e3-816a-437f-a6aa-3b099aa8952a?q=hamburg+messer
- Hamburger Vorstoß zum Umgang mit psychisch kranken Tätern. Deutsches Ärzteblatt, 11.06.2025; zuletzt abgerufen am 25.09.2025 unter Hamburger Vorstoß zum Umgang mit psychisch kranken Tätern – News – Deutsches Ärzteblatt
- Badenberg C. DGPPN: Therapie ist die beste Prävention, Ärztezeitung für Neurologie und Psychiatrie, August 2025, S. 14.
- Schomerus G et al. Die Einstellung der deutschen Bevölkerung zu psychischen Störungen. Bundesgesundheitsbl 2023; 66: 416–422.
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