Depressionen: Let’s talk about sex

Für den Therapieerfolg bei Depressionen sind durch Antidepressiva induzierte sexuelle Funktionsstörungen von großer Relevanz.1 Denn nicht selten ist die Flaute im Bett für Betroffene der Grund, die Behandlung zu beenden.1,2 Unter welchen Antidepressiva ist am häufigsten mit sexueller Dysfunktion zu rechnen und was sind mögliche Alternativen?

Serotonerge Antidepressiva: Wenn Lust & Sex auf der Strecke bleiben

Sexuelle Funktionsstörungen und Depression beeinflussen sich meist gegenseitig. Für eine erfolgreiche Behandlung der Depression sollte dieser Aspekt daher unbedingt mit ins Arzt-Patientengespräch einbezogen werden.1

Wie wichtig dieser Aspekt im Praxisalltag ist, zeigte ein im Januar 2025 veröffentlichter Übersichtsartikel. Dieser kam zu dem Schluss, dass serotonerge Antidepressiva das Risiko sexueller Dysfunktionen um das 27-Fache erhöhen können.3

Sexuelle Dysfunktion häufig unter SSRI, SNRI & TZA

Sexuelle Funktionsstörungen treten am häufigsten auf unter:1,4

  • klassischen, trizyklischen Antidepressiva (TZA),
  • irreversiblen MAO-Hemmern,
  • selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI, SNRI) bzw. Medikamenten mit ausgeprägter Serotoninwiederaufnahmehemmung (z. B. Venlafaxin).

Doch nicht nur unter SSRI ist mit sexueller Dysfunktion (SD) als Nebenwirkung zu rechnen. Eine Metaanalyse von Serretti und Chiesa zeigt eine signifikant höhere Rate an spezifischen behandlungsbedingten SD und sexuellen Funktionsstörungen vs. Placebo für folgende Antidepressiva (Abb.1):5

  • Citalopram, Duloxetin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Imipramin, Paroxetin, Phenelzin, Sertralin und Venlafaxin.
  • Für Agomelatin, Amineptin, Bupropion, Mirtazapin, Moclobemid und Nefazodon konnte hingegen kein signifikanter Unterschied für das Auftreten von SD vs. Placebo festgestellt werden.

Abb.1: Antidepressiva, die sexuelle Dysfunktion verursachen.

Sexuelle Funktionsstörungen: So können Sie intervenieren

Bei sexuellen Beschwerden kann Folgendes in Erwägung gezogen werden:1

  • Dosisreduktion des Antidepressivums, sofern eine stabile antidepressive Wirkung besteht (sexuelle Dysfunktion ist dosisabhängig)
  • Drug Holiday: Medikamentenpause (nach sorgfältiger Risikoabwägung, CAVE: schwankende Medikamentenspiegel, unzureichende Datenlage)
  • Umstellung der antidepressiven Medikation (v. a., wenn Antidepressive Wirkung unzureichend ist).
  • Zusätzliche pharmakologische Interventionen (die Literatur berichtet von Methylphenidat, Amantadin, Yohimbin, Ginkgo biloba oder Sildenafil).

Sexuelle Dysfunktion durch Antidepressivum – Der Switch kann sich auszahlen

Ein drug-holiday oder eine Dosisreduktion der SSRI, um sexuelle Funktionsstörungen zu reduzieren, ist nicht immer medizinisch vertretbar (CAVE: Absetzsymptome).1 Eine weitere Option kann u. a. die Umstellung auf ein anderes Antidepressivum sein. Bei persistierenden Einschränkungen der sexuellen Funktion im Zusammenhang mit SSRI und SNRI kann dann z. B. auf Antidepressiva mit einem geringen Risiko für sexuelle Funktionsstörungen wie Moclobemid oder Agomelatin umgestellt werden.1,5 Für Patientinnen und Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Depression kann auch hochdosierter Johanniskraut-Extrakt eine Option sein. Die Nationale VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ empfiehlt für den ersten Therapieversuch Johanniskraut-Extrakt als gleichwertige Behandlungsoption zu SSRI und anderen Antidepressiva.6 Die Behandlung mit dem Phytotherapeutikum wurde bislang nicht mit sexuellen Funktionsstörungen, Sedierung oder auch Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht.7,8

SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion selbst nach Absetzen noch möglich

Sexuelle Funktionsstörungen können nach dem Absetzen von SSRI weiter bestehen oder sogar erstmalig beim oder kurz nach dem Absetzen auftreten. Dies wird als post-SSRI sexuelle Funktionsstörung (PSSD) bezeichnet und geht häufig mit genitaler Taubheit, lustlosem oder schwachem Orgasmus, Libidoverlust und erektiler Dysfunktion einher.9,10

Auch wenn Therapieoptionen wie z. B. Buspiron, Mirtazapin, Methylphenidat oder Phosphodiesterase-5-Hemmer klinisch oder experimentell getestet wurden, gibt es bisher noch keine wirksame zugelassene Therapie gegen die „Post-SSRI Sexual Dysfunction“, kurz PSSD.1

Let’s talk about sex

Sexuelle Funktionsstörungen bei Depressionen oder als Nebenwirkung von Antidepressiva sind ein schambesetztes Thema. Daher sollten Behandelnde dieses Thema bei Patientinnen und Patienten mit Depressionen offen ansprechen. Bereits bei der Verordnung von Antidepressiva ist es sinnvoll Erkrankte über mögliche sexuelle Nebenwirkungen aufklären.3

Quellen:

  1. Cohen SA & Scholz P. Eine Herausforderung für die behandelnden Ärzte Sexualstörungen in der Behandlung depressiver Erkrankungen. Psychoneuro 2003; 30 (3): 164–168.
  2. Simm M. Antidepressiva: Nebenwirkungsprofil individuell beachten. Dtsch Arztebl International. 2009;106(9):1.
  3. Wechselspiel zwischen Depression und Sexualität | Der Nervenarzt
  4. Peleg CL et al. Post-SSRI Sexual Dysfunction (PSSD): Biological Plausibility, Symptoms, Diagnosis, and Presumed Risk Factors. Sex Med Rev 2022; 10:91−98.
  5. Serretti A & Chiesa A. Treatment-Emergent Sexual Dysfunction Related to Antidepressants. A Meta-Analysis. J Clin Psychopharmacol 2009; 29: 259Y266.
  6. Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005, unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-005l_S3_Unipolare-Depression_2023-07.pdf  (abgerufen am 28.09.2025).
  7. Gastpar M et al. Comparative Efficacy and Safety of a Once-Daily Dosage of Hypericum Extract STW3-VI and Citalopram in Patients with Moderate Depression: A Double-Blind, Randomised, Multicentre, Placebo-Controlled Study. Pharmacopsychiatry 2006; 39: 66-75.
  8. Gastpar M et al. Hypericumextrakt STW3-VI im Vergleich zu Citalopram und Placebo bei Patienten mit mittelschwerer Depression. Psychopharmakotherapie 2007; 14: 65-69.
  9. Peleg LC et al. Post-SSRI Sexual Dysfunction (PSSD): Biological Plausibility, Symptoms, Diagnosis, and Presumed Risk Factors. Sex Med Rev 2022; 10: 91−98.
  10. PSSD Hilfe Deutschland e. V.; PSSD Hilfe Deutschland e. V. - Unser Verein

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