Antidepressiva: Interaktionspotenzial richtig einschätzen

Unter den Antidepressiva gibt es praktisch keinen Wirkstoff ohne Interaktionspotenzial. Doch es ist v. a. Johanniskraut-Extrakt, der in diesem Zusammenhang oft als besonders bedenklich eingestuft wird.1 Zu Recht? Wir klären über Vorurteile auf und geben Ihnen eine kompakte Interaktions-Übersicht für den Praxisalltag an die Hand.

Interaktionsgeschehen unter Antidepressiva

Mit der Anzahl verordneter Medikamente steigt das Risiko klinisch relevanter Arzneimittelinteraktionen. Diese zu erkennen, adäquat einzuschätzen und vermeidbare Risiken bestmöglich auszuschließen, steht mit an vorderster Stelle bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten. Für Johanniskraut ist dabei v. a. die Induktion des Enzyms CYP3A4 zu beachten, über das etwa 60 % aller Medikamente verstoffwechselt werden. Aber auch alle anderen Antidepressiva interagieren mit CYP-Isoenzymen, insbesondere an die Hemmung von einem oder mehreren Cytochrom P450-Enzymen sollte man hier denken.1

    Das Cytochrom-P450-System hat eine zentrale Funktion in der Arzneistoff-Metabolisierung in Leber und Darm. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei das Isoenzym CYP3A4, das an der Verstoffwechselung zahlreicher Medikamente beteiligt ist. Manche Arzneimittel hemmen dieses Enzym, und so kann es bei gleichzeitiger Gabe von mehreren Wirkstoffen, die über diesen Stoffwechselweg abgebaut werden, zu Expositionserhöhung und Wirkverstärkung kommen. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Arzneimittel, die CYP3A4 induzieren und so zu einem beschleunigten Abbau von einem parallel applizierten Substrat führen können. Zur letzteren Kategorie gehören auch Johanniskrautpräparate.1

    Interaktionen eingrenzen: pharmakokinetisch & pharmakodynamisch

    Neben pharmakokinetischen müssen auch pharmakodynamische Interaktionen beachtet werden. Nachfolgend einige Beispiele des komplexen Zusammenspiels von Antidepressiva mit anderen Wirkstoffen:

    Pharmakokinetische Interaktionen

    • Als Enzym-Inhibitor kann Citalopram bei gleichzeitiger Einnahme mit Metropolol zu einem Plasmaspiegel-Anstieg des β-Blockers führen.2
    • Tamoxifen wird als Prodrug am Isoenzym CYP2D6 in seine aktiven Metaboliten umgewandelt. CYP2D6-Inhibitoren, wie Duloxetin und Paroxetin, verhindern die Umwandlung von Tamoxifen, wodurch es quasi wirkungslos bleibt.3

    Pharmakodynamische Wechselwirkungen:

    • In Kombination mit Antikoagulantien erhöhen SSRI das Blutungsrisiko, da diese auch in Thrombozyten die Serotonin-Aufnahme hemmen, was eine gestörte Thrombozytenaggregation zur Folge hat.4
    • Linezolid verhindert als potenter Monoaminoxidase-Hemmer den Abbau von Serotonin. Zusammen mit serotonergen Psychopharmaka, wie SSRI und SNRI, aber auch mit Mirtazapin und Bupropion, kann es zu verstärkten serotonergen Nebenwirkungen und evtl. dem Serotonin-Syndrom kommen.5

    Johanniskraut: Keine Sonderrolle in puncto Wechselwirkungen

    Für hochdosierten Johanniskraut-Extrakt (Laif®900) wird das Interaktionsgeschehen meist überschätzt.1 Die klinisch relevanten Wechselwirkungen sind eingrenzbar (siehe Abbildung 1) und können oft durch Dosisanpassung bewältigt werden, sodass ein breites Patientenspektrum von diesem Phytotherapeutikum profitieren kann.1

    Abbildung 1. Klinisch relevante Interaktionen von Johanniskraut-Extrakt (Laif®900). 6

    Vorsicht ist insbesondere geboten, wenn CYP3A4-sensitive Substrate mit enger therapeutischer Breite verordnet werden. Hierzu zählen Immunsuppressiva, Virustatika und Zytostatika. Im Wesentlichen gibt es 3 Patientengruppen, die davon betroffen sind: Bei Transplantations-, HIV- und Krebspatientinnen und -patienten, die entsprechende Präparate einnehmen, ist Johanniskraut kontraindiziert. Diese Personen sind im Praxisalltag jedoch gut zu identifizieren und dürften im niedergelassenen Bereich eher eine Minderheit darstellen.1,7

    Quellen:

    1. Tippmann M. E. Arzneimittelinteraktionen im Praxisalltag. Johanniskraut-Extrakt mit Weitblick verordnen. Neuro aktuell 7/2013.

    2. Fachinformation Cialopram-ratiopharm® 10 mg/20 mg/40 mg Filmtabletten. Stand: Juni 2019.

    3. aerzteblatt.de. Tödliche Wechselwirkung: Antidepressiva schwächen Tamoxifen. Unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/40020/Toedliche-Wechselwirkung-Antidepressiva-schwaechen-Tamoxifen (abgerufen am 29.07.2022).

    4. Voigt N et a. Arzneimittelinteraktionen, die man kennen muss. Pneumologie 2019;73:306-318.

    5. DAZ.online. Warnung vor Serotonin-Syndrom unter Linezolid und Methylenblau. Unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2011/07/27/warnung-vor-serotonin-syndrom-unter-linezolid-und-methylenblau (abgerufen am 29.07.2022).

    6. Laif®900 Fachinformation, Stand: September 2020.

    7. Lantz MS et al. St. John´s wort and antidepressant drug interactions in the elderly. J Geriatr. Psychiatry Neurol. 1999 Spring;12(1):7-10.

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