Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU)
Auszeit bei Depressionen – eine gute Idee?
Die Krankenkassen verzeichneten jüngst ein alarmierendes Rekordhoch an Arbeitsausfällen aufgrund von Depressionen. Dabei gilt: Eine AU kann Erkrankte entlasten, doch nicht immer ist sie der richtige Weg. Wie Sie im Einzelfall abwägen, ob eine Krankschreibung sinnvoll ist.
Depressionen: Fehltage stark angestiegen
Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2023 sind die AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen in den Jahren 1997 bis 2022 von 76,7 auf 301,1 AU-Tage pro 100 Versicherte angestiegen. Die meisten Fehltage hiervon kommen auf Patientinnen und Patienten mit Depressionen. Insgesamt entfielen im Jahr 2022 85,8 AU-Tage pro 100 Versichertenjahre auf depressive Episoden (ICD-10: F32) und 32,2 auf rezidivierende depressive Störungen (ICD-10: F33).1
Die KKH, als größte gesetzliche Krankenkasse mit 1,6 Millionen Versicherten, verzeichnete im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Zuwachs an Ausfallstagen von 85 % wegen psychischer Erkrankungen.2 Numerisch entspricht dies einem Anstieg der Fehlzeiten von 164 auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte.2 Einen ähnlichen Anstieg von Fehlzeiten dokumentierte auch die TK in ihrem Gesundheitsreport 2023 zur Arbeitsunfähigkeit.3 Insbesondere in den Jahren 2021 bis 2022 haben sich laut TK die Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen wie Depressionen (F32, F33) deutlich erhöht.3,4
Depressive Störung: AU immer sinnvoll?
Antriebslosigkeit oder erhöhte Ermüdbarkeit können Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen den Arbeitsalltag erschweren. Eine Verschnaufpause durch eine AU kann sie im Alltag durchaus entlasten. Allerdings sei, so die Autorenschaft der Nationalen VersorgungsLeitlinie zur Unipolaren Depression, die Symptomatik in der Praxis häufig nicht so stark ausgeprägt, dass die reflexhafte Krankschreibung gerechtfertigt wäre. Zudem profitieren nicht alle Betroffenen von der AU.5
Als Ärztin oder Arzt gilt es genau hinzuschauen, und die Vor- und Nachteile des Ausstellens einer AU für Patientinnen und Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen abzuwägen. Die Leitliniengruppe betont, dass eine AU-Bescheinigung Erkrankte entlasten könne, jedoch könne eine längere Arbeitsunfähigkeit depressive Störungen auch verschlimmern oder chronifizieren.5 Doch wie entscheiden, ob Ihre Patientin oder Ihr Patient tatsächlich von einer Auszeit profitiert?
AU ja oder nein? So wägen Sie ab
Gründe gegen eine Krankschreibung bzw. das Ausstellen einer AU sind laut Leitlinie u. a. eine mögliche Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen aufgrund von:5
- fehlender Alltagsstruktur und Ablenkung,
- fehlenden Sozialkontakten, sowie
- Ausbleiben von positiver Bestätigung durch die Arbeit.
Die Leitliniengruppe gibt in der Neufassung der Leitlinie Behandelnden erstmals Argumente an die Hand, um die Krankschreibung und deren Auswirkung auf psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren abzuwägen.5
Depressive Symptomatik:5
- Schweregrad der Erkrankung und der somatischen Symptomatik
- Krankheitslast
- Bestehen psychotischer Symptome oder psychischer Komorbidität (z. B. Angststörung, PTBS)
- Auswirkung des sozialen Kontextes auf Symptomatik
Psychosoziale Faktoren:5
- Alltagsbelastung verhindert, an Interventionen teilzunehmen
- mögliche Deaktivierung und Verlust der Tagesstruktur
- mögliche Vereinsamung aufgrund fehlender Sozialkontakte
Arbeitsplatzbezogene Faktoren:5
- Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
- möglicher Verlust der Wertschätzung & positiver Bestätigung durch die Arbeit
- mögliche Unterstützung eines Vermeidungsverhalten bei Mobbing, Überarbeitung oder Unterforderung
- drohender Verlust der Arbeit infolge wiederkehrender AU oder depressiver Störung
Das sollten Sie beim Ausstellen der AU beachten!
- Mit der Ausstellung einer AU soll Patientinnen und Patienten eine adäquate therapeutische Intervention angeboten werden.5
- Das wiederholte Verlängern der AU soll mit einer intensivierten Behandlung einhergehen.5
- Die AU soll im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes ausgestellt werden. Sie ist nicht als „Monotherapie“ gedacht.5
Die Leitlinie spricht sich für die Teil-AU gemäß des Hamburger Modells aus, so dass nach einer Voll-AU schrittweise eine Eingliederung vollzogen werden kann.5
Red Flag – wann ist eine Auszeit unerlässlich?
Bei depressiven Patientinnen und Patienten mit ausgeprägten Symptomen und bei Erkrankten, die aufgrund von schweren funktionellen Beeinträchtigungen arbeitsunfähig sind gemäß ICF, raten die Autorinnen und Autoren zur Krankschreibung. Wichtig: Bei eindeutig arbeitsunfähigen Personen bedarf es zur Krankschreibung keiner Abwägung der psychosozialen und arbeitsplatzbezogenen Faktoren. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen ist die Entscheidung für oder gegen eine Krankschreibung mit den betroffenen Patienten zu treffen.5
Quellen:
- Hildebrandt et al. Gesundheitsreport der DAK 2023: Analyse der Arbeitsfähigkeiten Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 44), Herausgeber: Andreas Storm
- Fehlzeiten wegen psychischer Belastungen steigen. Ärzteblatt online, 09.08.2023 (abgerufen am 28.08.2023)
- TK-Gesundheitsreport Arbeitsunfähigkeit 2023.
- TK-Gesundheitsreport 2022 „Zwei Jahre Coronapandemie: Wie geht es Deutschlands Beschäftigten? Teil 2
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3
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