Alarmierender Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Patienten

Der neue DAK-Psychreport 2024 zeigt, dass psychische Erkrankungen wie z. B. Depressionen insbesondere in der Altersgruppe der 25–29-jährigen Männer deutlich angestiegen sind.1 Was gibt es in dieser Altersgruppe im Hinblick auf Diagnostik und Therapie einer Depression besonders zu beachten?

Depressionen bei Männern oft unterdiagnostiziert

In der Praxis wird die Diagnose „Depression“ seltener bei Männern als bei Frauen gestellt.2 Doch sind Männer wirklich weniger von Depressionen betroffen? In der Tat fallen Männer mit Depressionen eher durch das diagnostische Raster als Frauen. Was vermutlich nicht zuletzt daran liegt, dass sich depressive Symptome bei Männern stärker auf der Verhaltensebene äußern und deshalb nicht sofort auf eine Depression schließen lassen:3-6

  • Gereiztheit & geringe Stresstoleranz
  • Aggressivität, Feindseligkeit, Ärger, Wut & riskantes Verhalten
  • Substanzmissbrauch/Suchtverhalten (Arbeit, Sport, Alkohol, Internet, Sex)
  • eskapistisches Verhalten (z. B. viel Zeit auf der Arbeit oder beim Sport)
  • kontrollierendes, gewalttätiges oder missbräuchliches Verhalten
  • Abstreiten von Traurigkeit oder psychischen Problemen
  • sozialer Rückzug & Ablehnen von Hilfe
     

Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Antriebsmangel als Kriterien für das Bestehen einer Depression werden bei Männern anfangs von anderen Symptomen überlagert. In der im Jahr 2022 aktualisierten Leitlinie „Unipolare Depression“ wird diese Annahmen auf Basis der bislang verfügbaren Daten jedoch kritisch hinterfragt. Die Leitlinienautorinnen und -autoren gehen davon aus, dass Frauen deutlich häufiger an Depressionen erkranken wie Männer. 2

Männer vs. Frauen: Der „kleine“ Unterschied in der Praxis 

Frauen gelten u. a. durch Hormonumstellungen als anfälliger für Depressionen. Es wird angenommen, dass sie häufiger professionelle Hilfe suchen und Beschwerden eher pathologisiert werden.3,7 Männer scheinen ihre Symptome häufiger auf körperliche Ursachen zu schieben. Sie werden in der Praxis eher somatisiert und erhalten selbst bei ähnlichen Symptomen und Depressionsscores seltener die Diagnose Depression als Frauen.3

Arbeitsausfälle bei jungen Männern wegen psychischer Belastung stark angestiegen

Die Leitlinie geht davon aus, dass Männer in der Regel seltener an Depressionen leiden. Doch ist das tatsächlich so oder sind männliche Depressionen in der Praxis nur unterdiagnostiziert? Der neue DAK-Psychreport 2024 zeigt, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Belastungen im Jahr 2023 sowohl bei Frauen als auch bei Männern im Vergleich zum Vorjahr nochmals zugenommen hat:

  • Bei Männern stieg die Zahl der Arbeitsunfähigkeits(AU)-Fälle um 21 % an, bei Frauen um 19 %. 
  • Besonders auffällig: In der Altersgruppe der 25–29-jährigen Männer stieg die Anzahl der AU-Fälle infolge psychischer Belastung zwischen 2022 und 2023 sogar um 42 %.

Depressionen verursachen unter den psychischen Krankheiten weiterhin die meisten Fehltage im Job. Ein trauriges Rekordhoch: Die Arbeitsausfälle aufgrund von Depressionen (F32/F33) sind im Jahr 2023 vs. 2022 erneut um 3,1 % angestiegen.1 Laut der aktuellen Entwicklung scheint es so, als ob Depressionen bei Männern tatsächlich unterdiagnostiziert sind. 

Depression bei Männern – welche medikamentöse Therapie auswählen?

Die nationale Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression“ rät bei leichtgradigen depressiven Episoden bevorzugt zu schnell zugänglichen, niederschwelligen Interventionen. Bei mittelgradigen Depressionen soll gleichwertig eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie angeboten werden.2 Doch wie das geeignete Antidepressivum für Betroffene bzw. für jüngere männliche Patienten finden?

Bei jüngeren Patienten gilt es u. a. bei der Therapieauswahl zu bedenken, dass v. a. in der Klasse der Antidepressiva der selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), wie Citalopram oder Escitalopram, sexuelle Dysfunktionen wie z. B. Ejakulationsstörungen, Impotenz, Orgasmus-Störungen und verminderte Libido als häufige Nebenwirkungen auftreten können.8

Sexuelle Störungen können nicht nur während der medikamentösen Behandlung mit einem Antidepressivum auftreten, sondern auch nach dem Beenden der Therapie weiter bestehen oder danach erstmals auftreten (Post-SSRI-Syndrom).9 Thematisieren Sie daher das sexuelle Erleben vor der Behandlungsentscheidung. So können Sie im Rahmen der partizipative Entscheidungsfindung ggf. mit dem Betroffenen gemeinsam ein Antidepressivum auswählen, das ein geringeres Risiko für sexuelle Funktionsstörungen mit sich bringt, wie z. B: 9

  • Bupropion
  • Moclobemid
  • Agomelatin
  • Mirtazapin
  • Trazodon
  • Tianeptin
  • Johanniskraut-Trockenextrakt
     

Letzteres wird in der Leitlinie Unipolare Depression gleichwertig zu chemischen Antidepressiva zur Initialtherapie bei leichten bis mittelschweren Depressionen empfohlen.2 Es eignet sich auch, wenn jüngere Patienten Vorbehalte gegen ein chemisches Antidepressivum haben. Unter Johanniskraut-Extrakt wurde im Gegensatz zu SSRI auch keine Gewichtserhöhung beobachtet.10,11 

Was sind die Optionen, wenn SSRI unumgänglich sind?

Ist die Depression z. B. von einer Zwangssymptomatik begleitet, sind SSRI (oder Clomipramin) die Therapie der 1. Wahl. Dann bleibt oft nur die Option, die unerwünschten Wirkungen zu einem gewissen Grad zu akzeptieren, sofern eine Umstellung oder Kombinationstherapie nicht möglich ist.9

Eine Therapieoption bei Erektionsstörungen kann die Augmentation mit dem PDE-V-Hemmer Sildenafil bei Männern sein. Auch kann die SSRI-Therapie mit Bupropion, das einen anderen Wirkmechanismus besitzt, ergänzt werden (bei Männern und Frauen).9,12
 

Quellen:

  1. Psychreport 2024, Entwicklungen der psychischen Erkrankungen im Job: 2013- 2023, Stand 06.03.2024, DAK Gesundheit, Berlin. 
  2. Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3
  3. Möller-Leimkühler A. Männer erleben Depression anders. Ärzte Zeitung online 2018. Unter: https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/depressionen/article/960406/studie-maenner-erleben-depressionen-anders.html (abgerufen am 21.03.2024). 
  4. Limmer J. Depression hat viele Gesichter. Varianten und Verlaufsformen der Depression. Universitätsklinikum Erlangen 2018. Unter: https://dreycedern.de/wp-content/uploads/2019/02/Depressionsformen_Jan_Limmer.pdf (abgerufen am 21.03.2024).
  5. Male depression: Understanding the issues. Mayo Clinic. Unter: https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/depression/in-depth/male-depression/art-20046216 (abgerufen am 21.03.2024). 
  6. Anzeichen einer Depression bei Männern erkennen. Der niedergelassene Arzt. Unter: https://www.der-niedergelassene-arzt.de/medizin/kategorie/neurologie-1/anzeichen-einer-depression-bei-maennern-erkennen (abgerufen am 21.03.2024).
  7. Deutsche Depressionsliga e.V. Unter besonderen Umständen. Wie Depressionen entstehen und was helfen kann. 1. Auflage Mai 2018. 
  8. Auszug: Gebrauchsinformation Citalopram – 1A Pharma 20 mg Filmtabletten, Gelbe Liste März 2024. 
  9. Ebert A. Sexualität und Initimität bei depressiven Erkrankungen. Nervenheilkunde. 2021;40:987-988.
  10. Gastpar M et al. Comparative efficacy and safety of a once-daily dosage of hypericum extract STW3-VI and citalopram in patients with moderate depression: a double-blind, randomised, multicentre, placebo-controlled study. Pharmacopsychiatry, 2006; 39: 66-75.
  11. Fachinformation Laif®900, Stand September 2020
  12. Wenzel-Seifert K et al. Sexuelle Funktionsstörungen unter antidepressiver Pharmakotherapie. Psychopharmakotherapie. 2015;22(4):205-211. 
     

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