Photosensibilisierung durch Medikamente: So schützen Sie Ihre Patienten

Sonne macht gute Laune und lockt ins Freibad oder ins Grüne. Doch nicht alle Patientinnen und Patienten können den Sommer unbeschwert genießen. Bestimmte Medikamente können unter UV-Strahlung phototoxische und/oder photoallergische Reaktionen auslösen. Bei welchen Wirkstoffgruppen Vorsicht geboten ist und wie Sie Ihre Patienten schützen können, erfahren Sie hier.

Sommersonne & Medikamente sind nicht immer beste Freunde

Miriam* hat den Tag am Baggersee verbracht. Abends bemerkt sie rote Flecken auf Wangen und Ohren. Die 23-jährige Studentin ist ratlos, doch dann hat sie einen Verdacht. Sie liest in der Packungsbeilage des Antibiotikums nach, das sie aufgrund einer bakteriellen Infektion einnimmt. *fiktive Person

Sommer, Sonne, Medikamenten-induzierte Photoreaktion? So wie Miriam ergeht es auch anderen Patientinnen und Patienten in den Sommermonaten. Die Einnahme verschiedenster verschreibungspflichtiger und freiverkäuflicher Medikamente kann bei ihnen zu einer gesteigerten kutanen Lichtempfindlichkeit führen.1

Arzneimittelinduzierte Lichtempfindlichkeit: Mehr als 300 Medikamente unter Verdacht1

Viele systemisch oder topisch angewandte Arzneistoffe können phototoxische und photoallergische Reaktionen auslösen. Betroffen sind insbesondere chronisch Erkrankte mit Polypharmazie.1,2

Praktisch jeder Mensch mit einer chronischen Erkrankung nimmt mindestens ein Arzneimittel ein, das phototoxische Reaktionen auslösen kann. Deshalb sollten insbesondere chronisch Kranke regelhaft über das Risiko der Photosensibilisierung und über den nötigen Sonnenschutz beim Aufenthalt im Freien informiert werden.“

Dr. med. Petra Sandow, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Berlin1,2

Zu den Substanzen mit photosensibilisierendem Potenzial zählt ein ganzes Portfolio an Arzneimitteln, u. a. Antiarrhythmika, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Diuretika, Medikamente für die Tumortherapie, Antidepressiva sowie viele andere Arzneimittel.1 Derzeit sind mehr als 300 Medikamente mit photosensibilisierenden Eigenschaften in Deutschland verfügbar, u. a.:1,3

Herz-Kreislauf Medikamente

DiuretikaAcetazolamid, Bendroflumethiazid, Bumetanid, Chlorthalidon, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Indapamid, Spironolacton Torasemid, Xipamid
RAAS*-BeeinflussungCandesartan, Captopril, Enalapril, Fosinopril, Irbesartan Lisinopril, Losartan, Olmesartan, Quinapril, Ramipril, Telmisartan, Valsartan
AntiarrhythmikaAmiodaron, Dronedaron
Beta-BlockerCarvedilol, Sotalol
Ca"-Kanal-AntagonistenAmlodipin, Diltiazem, Nifedipin, Verapamil 
AntihypertensivaMethyldopa
AntikoagulantienClopidogrel

Tabelle 1: Photosensibilisierende kardiovaskuläre Wirkstoffe, *RAAS = Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Modifiziert nach Quelle 2

Entzündungshemmer (Antiphlogistika)

NSARsBenzydamin, Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin, Ketoprofen Ketorolac, Meloxicam, Naproxen, Piroxicam, Phenylbutazon
COX-2-InhibitorenCelecoxib
AndereMesalazin, Sulfasalazin

Tabelle 2: Photosensibilisierende Antiphlogistika. Modifiziert nach Quelle 2

Medikamente zur Antitumortherapie

AlkylierendChlorambucil, Dacarbazin
AntimetabolitenCapecitabin, Fluorouracil, Mercaptopurin, Methotrexat, Thioguanin
Pflanzliche Alkaloide und andere natürliche MittelDocetaxel, Paclitaxel, Vinblastin,
AnthracyclineEpirubicin
Protein Kinase InhibitorenCobimetinib, Crizotinib, Dabrafenib, Dasatinib, Erlotinib, Gefitinib, Imatinib, Lapatinib, Regorafenib, Trametinib, Vandetanib, Vemurafenib
Monoklonale AntikörperEculizumab, Nivolumab, Panitumumab, Trastuzumab
AndereBicalutamid, Flutamid, Interferon alpha, Irinotecan, PEG interferon

Tabelle 3: Photosensibilisierende antineoplastische Wirkstoffe. Modifiziert nach Quelle 2.

Antiinfektiva & Antimykotika

FluorchinoloneCiprotoxacin, Levotloxacin, Lometloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin
TetracyclineDoxycyclin, Minocyclin, Tetracyclin
SulfonamideCotrimoxazol, Sulphadiazin
CephalosporineCefazolin, Cefotaxim, Ceftazidim,
AminoglycosideGentamicin
AntimykotikaItraconazol, Ketoconazol, Terbinafin, Voriconazol|
AntituberkulotikaAminosalicylat-Natrium, Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid
Virostatika(Val-)Acyclovir, Amantadin, Efavirenz, Daclatasvir, (Val-) Ganciclovir, Ribavirin, Ritonavir, Simeprevir, Saquinavir
AndereAzithromycin, Mefloquin

 

Metabolische & endokrine Medikamente

StatineAtorvastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin
FibrateBezafibrat, Fenofibrat
AntidiabetikaCanagliflozin, Glimepirid, Gliquidon, Glyburid (Glibenclamid), Metformin Sitagliptin
Protonenpumpen-InhibitorenEsomeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol
GichtmittelAllopurinol, Colchicin, Febuxostat
HormoneEthinylestradiol, Hydrocortison, Melatonin, Östrogen, Progesteron
AntihistaminikaCetirizin, Cyproheptadin, Diphenhydramin, Hydroxyzin, Loratadin, Ranitidin
ThyreostatikaPropylthiouracil

Tabelle 5: Medikamente zur Therapie metabolischer und endokriner Erkrankungen. Modifiziert nach Quelle 2.

Weitere Arzneimittel

AnticholinergikaGlycopyrrolat, Tiotropium
CholinergikaPilocarpin
PDEs-InhibitorenSildenafil, Vardenafil
PhotosensibilatorenAminolävulinsäure, 8-Methoxypsoralen, Verteporfin
InterleukineAldesleukin
RetinoideAcitretin, Isotretinoin, Tretinoin
ImmunsuppressivaAzathioprin, Interferon beta, Leflunomid, Omalizumab, Pirfenidon, Tacrolimus, Tocilizumab
AntidoteAcetylcystein
VitaminePyridoxin

Tabelle 6: Sonstige photosensibilisierende Wirkstoffe. Modifiziert nach Quelle 2.

Die Reaktionen sind phototoxisch, photoallergisch oder beides1

Phototoxische ReaktionPhotoallergische Reaktion
Manifestation unmittelbar nach SonneneinstrahlungEs geht immer eine Sensibilisierung des Immunsystems voraus.
Auf sonnenexponierte Hautareale begrenzt und oft nur schwer von einem Sonnenbrand zu unterscheiden.Manifestation kann auch erst einen bis mehrere Tage nach der Sonnenexposition auftreten und nicht sonnenexponierte Areale betreffen.
Betrifft viele Arzneimittel; die Reaktion ist stark dosisabhängig.Geringe Dosen sind als Auslöser ausreichend.

Tabelle 7: Unterschiede zwischen phototoxischen und photoallergischen Reaktionen.1

Antidepressiva – Photosensibilisierung im Fokus

Sonne ist gut für die Psyche. Sie hebt den Vitamin-D-Spiegel an und ihr wird ein positiver Effekt zugeschrieben, von dem nicht zuletzt Patientinnen und Patienten mit Depressionen profitieren können. Doch gerade diese Patientengruppe sollte sich besonders vor Sonnenstrahlen schützen. Denn: Photosensibilisierung ist auch durch diverse Antidepressiva möglich.1,3

SSRI, SSNRI und andere synthetische sowie pflanzliche Antidepressiva wie Johanniskraut zählen zu den photosensibilisierenden Wirkstoffen und können unter erhöhter Sonneneinstrahlung kutane Photoreaktionen hervorrufen:1-3

Photosensibilisierende Antidepressiva & Medikamente aus der Kategorie Nervensystem

AntidepressivaAmitriptylin, Bupropion, Citalopram, Clomipramin, Duloxetin, Doxepin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Johanniskraut-Extrakt, Paroxetin, Sertralin, Tranylcypromin, Trazodon, Venlafaxin
AntipsychotikaChlorprothixen, Clozapin, Flupentixol, Haloperidol, Maprotilin, Olanzapin, Perphenazin, Pimozid, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon
Antikonvulsiva/BarbiturateCarbamazepin, Felbamat, Lamotrigin, Phenytoin, Topiramat, Valproinsäure
TriptaneNaratriptan, Sumatriptan, Zolmitriptan
SonstigeAcamprosat, Methylphenidat, Procyclidin, Ropinirol

Tabelle 8: Photosensibilisierende Wirkstoffe aus der Medikamentenklasse Antidepressiva & Nervensystem. Modifiziert nach Quelle 2

Arzneimittelbedingte Photoreaktionen unter trizyklischen Antidepressiva, SSRI & Co.

  • Amitriptylin kann die Hyperpigmentierung sonnenexponierter Körperpartien begünstigen.1
  • Unter Imipramin können persistente Erytheme infolge der Photosensibilisierung auftreten.1
  • Clomipramin könnte laut derzeitigem Kenntnisstand die photoallergische Dermatitis begünstigen.1
  • SSRI wie Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin können lichtinduzierte erythematöse Reaktionen auslösen. Citalopram kann Hyperpigmentierungen auslösen. Venlafaxin kann das Auftreten von Teleangiektasien nach Sonnenexposition begünstigen.1
  • Johanniskraut-Extrakt kann ebenfalls Photoreaktionen hervorrufen.4-6

Antidepressiva im Sommer absetzen? Keinesfalls!

„SSRI oder Johanniskraut-Extrakt nur im Winter?“ Ein Irrglaube, der sich hartnäckig hält. Keinesfalls sollten Patientinnen und Patienten mit Depressionen im Sommer eine Therapiepause einlegen.7

Um ein Rezidiv zu verhindern, rät die Nationale VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ zu einer sechs- bis zwölfmonatigen Erhaltungstherapie nach der Akuttherapie – auch wenn in der Akutphase vollständige Symptomfreiheit bestand.7 Somit umfasst die leitlinienkonforme antidepressive medikamentöse Therapie oft auch die Sommermonate. 

Wichtig zu wissen: Kommt Johanniskraut-Extrakt in therapeutischer Dosierung zur Depressionsbehandlung zum Einsatz, ist die darin enthaltene Hypericin-Menge in der Regel zu gering, um eine entsprechende Photoreaktion hervorzurufen.10 

Dies untermauert eine Studie mit 20 gesunden männlichen Probanden: Im Ergebnis konnte hinsichtlich der Lichtempfindlichkeit (minimale Erythem-Dosis) keine statistische Differenz zwischen Baseline und nach 14-tägiger Medikation festgestellt werden.10

Quellen:

  1. Heck J et al. Photosensibilisierung durch Psychopharmaka und andere Arzneimittel; https://www.ppt-online.de/heftarchiv/2021/03/photosensibilisierung-durch-psychopharmaka-und-andere-arzneimittel.html
  2. Broschüre: Sommer, Sonne, Medikamente: nicht immer beste Freunde! Bayer Vital GmbH, Leverkusen
  3. Hofmann GA et al. The frequency of photosensitizing drug dispensings in Austria and Germany: a correlation with their photosensitizing potential based on published literature. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2020;34(3):589-600
  4. Pharmazeutische Zeitung. Photosensibilisierung: Medikamente als Auslöser. Ausgabe26/2016; https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-262018/medikamente-als-ausloeser/
  5. Schulz HU et al. Arzneim-Forsch/Drug Res 2006; 56(3): 212–2.
  6. Gulick RM et al. Phase I studies of hypericin, the active compound in St. John's Wort, as an antiretroviral agent in HIV-infected adults. AIDS Clinical Trials Group Protocols 150 and 258. Ann Intern Med. 1999;130(6):510-514.
  7. Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3.0, 2022, AWMF-Register-Nr. nvl-005. Stand 2022. AWMF-Reg.-Nr. nvl-005; https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3
  8. Auszug: Gebrauchsinformation Citalopram – 1 A Pharma 20 mg Filmtabletten; Gelbe Liste März 2024
  9. Gebrauchsinformation Laif® 900, Stand September 2020
  10. Schulz HU et al. Arzneim-Forsch/Drug Res 2006;56(3): 212–212.

Bildquelle: https://www.gettyimages.de/detail/foto/attractive-happy-caucasian-brunette-in-a-yellow-lizenzfreies-bild/1268395219?adppopup=true , Symbolbild mit Modellen. 

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